Dass Ziele im Leben eines Menschen wichtig sind, ist für viele intuitiv nachvollziehbar.
Neuere Forschungsergebnisse zeigen auf, dass das Setzen von Zielen ein wichtiger Faktor für ein erfülltes Leben ist. Dabei ist die Thematik «Lebenszufriedenheit» eine komplexe Angelegenheit.
26.07.2024 | Jürg W. Krebs
Diese Bebilderung wurde mit DALL-E erstellt.
Das im Jahr 2011 erschienene Buch von Daniel Kahnemann «SCHNELLES DENKEN, LANGSAMES DENKEN» befasst sich mit unserem Verständnis von Urteils- und Entscheidungsprozessen. Im 38. Kapitel geht es um den wichtigen Aspekt «Lebenszufriedenheit» und damit auch um das Erleben von «Glück» in der eigenen Existenz.
(Kahnemann D., 24. Aufl., deutsche Ausgabe 2012, S. 494)
In diesem Buch werden die Ergebnisse einer gross angelegten Langzeitstudie veröffentlicht. An etwa 12'000 Personen wurde ein Fragebogen abgegeben, alle Befragten hatten ihr Studium an einer Eliteuniversität aufgenommen im Jahr 1976. Dabei bezog sich eine Frage auf die Zielsetzung bezüglich der Wichtigkeit einmal wohlhabend zu sein – auf einer 4-Punkte- Skala von «unwichtig» bis «sehr wichtig».
19 Jahre später wurde der Grad dieser Zielsetzung evaluiert. Und es stellte sich heraus, dass viele dieses Ziel tatsächlich erreicht hatten. Die Lebenszufriedenheit derjenigen, welche dieses Ziel erreicht hatten war hoch. Dass die Lebenszufriedenheit derjenigen, welche das Geld als nicht prioritär angegeben hatten, nicht stark differierte war ebenfalls ein Ergebnis dieser Studie. Erheblich unzufriedener waren die Befragten, welche ihr Ziel eines hohen Einkommens nicht erreicht hatten.
Auch Forschende in der Transaktionsanalyse hatten diese Zusammenhänge untersucht in der Lebensskript-Theorie. Ihr Ergebnis fällt sehr ähnlich aus. In der TA (Transaktionsanalyse) gilt der Grundsatz: Wer ein Lebensziel formuliert und dieses erreicht gilt als erfolgreich (Gewinner-Skript); die Erfüllung (also ein Glückserleben) kann dabei beispielsweise auch eine asketische Lebensweise sein, die sich bewusst gerade nicht auf materielle Optimierung ausrichtet (Stewart/Joines, Transaktionsanalyse, Herder).
Kahnemann zog aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass Wünsche (also Ziele) von Menschen unbedingt mit einbezogen werden sollten in der Frage nach dem Wohlbefinden in einer Existenz.Reivich und Shatté’s Studie hatte 2002 aufgezeigt, dass Menschen, die Handlungsmöglichkeiten suchen:
Zielbilder kreieren und Spannungen aushalten (Aspekte der Zukunftsorientierung) sowie Prioritäten setzen und sich an einem Wertesystem orientieren (Lösungsorientierung) sowie
Prioritäten setzen und sich an einem Wertesystem orientieren (Lösungsorientierung)
und damit wesentliche Aspekte für ein erfülltes Leben realisieren. (Reivich & Shatté, 2002).
Das Modell und den Fragebogen dazu - mit einer Skalierung für eine Selbsteinschätzung der «Sieben Säulen der Resilienz» - können bei Beruf+Berufung Education bezogen werden.
Zielorientierung und Sinnfindung
Dass die Sinnfrage ebenfalls eine zentrale Komponente darstellt, überrascht nicht. Die eigenen Einstellungen, das Setzen und Verfolgen von persönlichen Zielen, die als bedeutungsvoll und erreichbar wahrgenommen werden erhöht die Lebenszufriedenheit. Ein Gefühl von Sinn und Zweck im Leben ist eng mit einem höheren Wohlbefinden verknüpft.
(Ryff, C. D., & Singer, B. (1998)
Die Sinnfrage hat auch Viktor Frankl bei der Entwicklung der Logoädie als Kernthema erkannt für ein erfülltes Leben, in dem Glück nicht primär als Streben von Reiz zu Reiz verstanden wird.
Mehrere Jahre musste der österreichische Psychologe Viktor E. Frankl in deutschen Konzentrationslagern verbringen. Doch trotz all des Leids, das er dort sah und erlebte, kam er zu dem Schluss, dass es selbst an Orten der größten Unmenschlichkeit möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Seine Erinnerungen, die er in diesem Buch festhielt und die über Jahrzehnte Millionen von Menschen bewegten, sollen weder Mitleid erregen noch Anklage erheben. Sie sollen Kraft zum Leben geben.
(Klappentext aus Frankl V., 2018, Ex Libris).
Was können diese Erkenntnisse für das berufliche Leben bedeuten?
Es lässt sich beobachten, dass nicht wenige Menschen zwar seriöse Arbeit leisten, sich jedoch selten Zeit nehmen über die Langzeitwirkungen ihrer eigenen Einstellung zu reflektieren. Spätestens gegen Ende des Lebens kann dies dann in eine grössere Frustration münden, mit der Fragestellung: Was habe ich echt verpasst? Die Palliativ-Forschung zeigt, dass viele Menschen nicht bereuten, was sie getan haben, sondern, was sie nicht getan haben (Vgl. dazu auch Literatur von Yalom Irvin D.)
Diese Themen zu kennen kann alle Arbeitstätigen inspirieren und vielleicht auch provozieren (Pro-Vokation: Anruf für etwas). Diese Erkenntnisse können auch Führungskräfte und Beratende für sich nutzen und sich gelegentlich der Frage stellen - gerade, wenn die Phase des Gelderwerbes und der zahlreichen finanziellen Verpflichtungen oft im mittleren Lebensalter sich als absehbar erweist: Wo liegt noch ungelebtes Potential? Was freut mich oder mein Gegenüber wirklich? Zeiten für diese Reflexion erfordern oft einen gewissen Rückzugsraum.
«Qualitätszeit» kann dieser Raum genannt werden, in dem oft tiefere Wünsche, die aus guten Gründen in den Hintergrund zu treten hatten, sich wieder melden können. Stille-Aufenthalte, erhellende Momente in einem Coaching oder Erkenntnisse aus einem guten Gespräch können Erkenntnisse mit visionärem Chrakter aufblitzen lassen.
Diese wahrzunehmen kann für die Lebensqualität einen Unterschied machen. Das eigene Potential wird neu erkannt, und solche Ein-Sichten können von einer überraschenden Dynamik begleitet sein. Nach Ellen Johnson Sirleaf: “If Your Dreams Don’t Scare You. They are not big enough”.
Auch in Mitarbeitenden-Gesprächen (MAG) kann diese Dimension dann möglicherweise auch Raum erhalten: Gerade sogenannt treue Mitarbeitende, die zuverlässige Arbeit leisten, auch als LeistungsträgerInnen anerkannt sind, dürften auch diesbezüglich gehört werden.
Allein das Ansprechen von beruflicher Entwicklung, die ja nicht ganz getrennt werden kann von persönlicher Entwicklung kann da manchmal neue erfüllende Themen zeigen. Allerdings erfordert dies von der jeweiligen Organisation auch die Offenheit und die Motivation auch sehr gute Mitarbeitende einen Entwicklungsschritt machen zu lassen, der diese in ein anderes berufliches System führt.
QUELLEN
Frankl Viktor E., Trotzdem ja zum Leben sagen, Ex Libris
Kahnemann,Daniel; SCHNELLES DENKEN, LANGSAMES DENKEN, Febr. 2014, 24. Auflage, PANTHEON
Reivich & Shatté 2002, Rampe 2004, Bengel & Lyssenko 2012, Heller 2013; Die sieben Säulen der ResilienzHeller Jutta, Verlag: Orell Füssli, 2015
Ryff, C. D., & Singer, B. (1998). The contours of positive human health. Psychological Inquiry, 9(1), 1-28./ChatGPT4, abgerufen am 22. Juni 2024
Stewart Ian/Joines Vann; Die Transaktionsanalyse – eine Einführung, 9. Aufl. 2009, Herder
Yaloms Anleitung zum Glücklichsein (Originaltitel: Yalom’s Cure) ist ein Schweizer Dokumentarfilm von Sabine Gisiger aus dem Jahr 2014 über den US-amerikanischen Psychiater und Bestsellerautor Irvin D. Yalom
Internet-Quelle: Sirleaf Ellen Johnson, Dreams: https://www.google.com/search?q=ellen+johnson+sirleaf+dreams&rlz=1C1ONGR_deCH1026CH1028&oq=sirleaf+dream&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUqCAgBEAAYFhgeMgYIABBFGDkyCAgBEAAYFhgeMgoIAhAAGIAEGKIE0gEJODYyMmowajE1qAIIsAIB&sourceid=chrome&ie=UTF-8 abgerufen am 22. Juli 2024